Staatskanzlei

Platzeck: "Deutschland und Polen haben eine gute Zukunft"

Rede von Ministerpräsident Matthias Platzeck zum Auftakt einer Diskussion mit Schülern der Berufsschule für Bauhandwerk in Gorzow anlässlich des Treffens mit Premierminister Leszek Miller am 1. September 2003

veröffentlicht am 01.09.2003

„Ich bin dem Premierminister dankbar für die Einladung nach Polen und für die Gelegenheit, an diesem besonderen Tag zusammen zu kommen. Danken möchte ich auch für die Einladung, Ihre Schule zu besuchen. Am 1. September erinnern wir uns an das Jahr 1939 – und dies ist das schmerzlichste Datum in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. Der deutsche Überfall auf Polen, der deutsche Vernichtungskrieg, die Lager, die Ghettos, Massenmord und Zerstörung fügten Millionen von polnischen Familien unermessliches Leid zu. Diese Verbrechen haben sich tief eingegraben in unsere Gefühle. Niemand kann es ungeschehen machen. Aber wir können daran arbeiten, dass die Erinnerung uns nicht mehr trennt, sondern verbindet. Rücksichtnahme, Offenheit, Verständigung, Versöhnung, Partnerschaft sollen uns in eine bessere Zukunft geleiten. Dafür gibt uns Europa einen guten Rahmen. Vertrauensvolle Beziehungen zwischen Deutschen und Polen sind für mich ein überragender Wert und eine erstrangige politische Aufgabe. Seit wir 1990 daran gingen, das Land Brandenburg wiederzuerrichten, spielt die Entwicklung einer guten Nachbarschaft zu Polen in fast allen Bereichen eine wichtige Rolle. Ob es um Bildung und Wissenschaft, Verkehr oder Wirtschaft geht, überall gibt es Anknüpfungspunkte, um den Grenzraum durch gegenseitige Hilfe und gemeinsame Projekte besser zu entwickeln. Soweit es in unseren Möglichkeiten lag, haben wir uns dafür eingesetzt, dass Polen rasch Mitglied der Europäischen Union wird. Das polnische Referendum über diese Frage war spannend. Das Ergebnis ist eindeutig. Und ich bin glücklich, dass wir am 1. Mai des kommenden Jahres Seite an Seite Mitglieder der EU sind. Auf beiden Seiten der Oder leben Familien, die von der Erfahrung des Krieges und den Folgen des Krieges geprägt sind. Flucht und Vertreibung sind für Deutsche und für Polen Teil dieser Prägung. Eltern und Großeltern erzählen davon. Das Mitgefühl mit solchen Schicksalen ist menschlich und es überwindet nationale Grenzen. Ich glaube, wir beginnen jetzt etwas Neues. Die Grenzen in Europa werden immer offener. Das ist eine Normalität, die es noch nie gab. Für meine Generation ist das wie ein Geschenk. Sie aber sind es, die diese Chance in vollem Maße nutzen können, und Ihre Generation wird diesem Europa den Stempel aufdrücken. Die Art, wie wir leben und arbeiten, ändert sich. Der Horizont ist weiter geworden. Schon während der Schulzeit findet ein reger Austausch statt. Die Sprachkenntnisse werden besser – und ich setze mich dafür ein, dass mehr brandenburgische Schüler Polnisch lernen. Wer einen Beruf lernt, kann künftig – nach einer gewissen Übergangszeit – auf beiden Seiten der Grenze arbeiten. Wer einen Betrieb gründet, kann sich seine Kunden auf beiden Seiten suchen. Man soll nicht verschweigen, dass wir noch einen Berg von Problemen abzutragen haben. Wenn ich an die deutsche Seite denke, an Brandenburg, bin ich gar nicht zufrieden mit der wirtschaftlichen Situation. Ich möchte erreichen, dass die Betriebe in Berlin und Brandenburg mehr Arbeitsplätze schaffen und mehr jungen Leuten eine Perspektive geben können. Der Osten von Deutschland und der Westen von Polen sitzen letztlich in einem Boot. Wenn bei dem einen die Wirtschaft wächst, bringt das Schwung auch für den anderen. Deutschland und Polen haben eine gute Zukunft. Gegenseitige Anerkennung und wechselseitiger Respekt sind gewachsen. Zugenommen hat die Zusammenarbeit. Gerade daraus werden wir unsere Stärke gewinnen.“