Staatskanzlei

Erklärung des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck für die Landesregierung vor dem Landtag am 04.12.2009

veröffentlicht am 04.12.2009

„Vor wenigen Wochen hat die neue Brandenburger Landesregierung ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist angetreten, um dringende Probleme der Menschen hier bei uns im Land zu lösen.

Sie ist angetreten, um die wichtigen Zukunftsaufgaben, vor denen wir stehen, anzupacken. Sie ist angetreten, um Brandenburg Schritt für Schritt zu einem besseren Land für alle seine Bürgerinnen und Bürger zu machen. Ihnen - den Bürgern Brandenburgs und ihrer Zukunft - will, muss und wird diese Regierungskoalition dienen. „Erneuerung und Gemeinsinn - ein Brandenburg für alle“: Dieses programmatische Leitmotiv der neuen Regierungskoalition ist in allen seinen Bestandteilen ernst gemeint!

Wir brauchen in Brandenburg Erneuerung. Wir brauchen - gerade deshalb - Gemeinsinn, Zusammenhalt und Miteinander! Vor allem brauchen wir ein Brandenburg, in dem niemand zu dem Eindruck gelangt, er werde dauerhaft ausgegrenzt, abgehängt oder vergessen. Dazu gehören für mich ausdrücklich und zuallererst die Opfer der SED-Diktatur.

Ein Brandenburg, das zupackt, das zusammenhält - dieses Ziel ist in den schwierigen Zeiten der weltweiten Krise dringlicher und aktueller denn je. Erneuerung und Gemeinsinn, ein Brandenburg für alle - in diesen Zielen weiß sich die neue Landesregierung einig mit der großen Mehrheit der Menschen hier bei uns im Land.

Aber ich räume ein: Es ist der von mir geführten Landesregierung in den ersten Wochen unserer gemeinsamen Arbeit noch nicht gelungen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Das ist ein schmerzhaftes Eingeständnis.

Gleichwohl: Die Unruhe der vergangenen Wochen ist keine politische Krise dieser Landesregierung. Auch keine Krise der Parteien, die diese Koalition tragen.

Es vor allem eine Krise der moralischen und auch der politischen Integrität einiger Mitglieder dieses Landtages. Ich nenne hier ausdrücklich Herrn Hoffmann und Frau Adolph. Die beiden haben sich mit ihrem schlimmen Vertrauensbruch nicht nur selbst diskreditiert. Sie haben auch ihrer Partei schweren Schaden zugefügt. Und sie haben der neuen Koalitionsregierung Knüppel zwischen die Speichen geworfen.

Aber was noch viel schlimmer ist: Indem sie ihre wie auch immer im einzelnen gearteten Stasi-Verstrickungen hartnäckig verschwiegen haben, haben die betroffenen Abgeordneten einen offenen Prozess der reinigenden historischen Aufarbeitung belastet und erschwert. Dieses, unser Land braucht diesen Prozess dringend. Vor allem das dramatische Versagen der Genannten angesichts der Anforderungen individueller und politischer Wahrhaftigkeit ist es, das uns nun gemeinsam zurückwirft und eine allzu vereinfachende, eine polarisierende und auch rückwärts gewandte Konfrontation zulässt:

- Eine Konfrontation, die aufheizt, wo historische Aufklärung notwendig wäre.

- Eine Konfrontation die spaltet, wo wir Verständigung brauchen.

- Eine Konfrontation, die Menschen abstößt statt sie anzuziehen. Denn es ist ganz sicher auch die teilweise denunziatorische Art der Diskussion, die der politischen Kultur in unserem Land nicht gut tut.

Mit ihrem eklatanten moralischen und politischen Versagen müssen die Abgeordneten selber klarkommen. Sie haben aber einen Schaden angerichtet, der uns alle betrifft. Dieser Schaden hätte nicht eintreten dürfen. Ich bedauere ihn ganz außerordentlich. Der eklatante Vertrauensbruch wirft schwierige Fragen auf:

- Wie war es möglich, dass Herr Hoffmann und Frau Adolph meinten, sich über die ohne Wenn und Aber gültigen Prinzipien der Offenheit, der Klarheit und der Transparenz in Bezug auf Stasi-Verstrickungen hinwegsetzen zu können?
- Wie war es möglich, dass sie offenkundig annahmen, es mit der Aufarbeitung ihrer persönlichen Stasi-Verstrickungen nicht allzu ernst nehmen zu müssen?
Jedenfalls in formaler Hinsicht liegt die Antwort aus heutiger Sicht auf der Hand. Herr Hoffmann und Frau Adolph sind seit 2004 Mitglieder dieses Hohen Hauses. Es hat aber seit 1990 im Brandenburger Landtag keine systematische Stasi-Überprüfung aller Abgeordneten mehr gegeben. Wir müssen uns eingestehen - und auch ich ganz persönlich: Das war ein Fehler! Ein Fehler, der sich heute rächt.

Deshalb plädiere ich dafür, dass der Landtag noch in diesem Jahr das Abgeordnetengesetz so novelliert, dass die Überprüfung aller Abgeordneten in einem geordneten Verfahren stattfinden kann.

Meine Partei, die Brandenburger Sozialdemokratie, und die Führungsgremien der Brandenburger Linkspartei haben die neue Regierungskoalition nicht im Zustand der Vergangenheitsvergessenheit, nicht im Zustand der Geschichtsvergessenheit ausgehandelt.

Ganz im Gegenteil: Dimension und Problematik dieser Koalitionsbildung waren uns in hohem Maße bewusst. Gerade meine Partei, die ostdeutsche Sozialdemokratie, wurde im Herbst 1989 mit dem zentralen Ziel neu gegründet, das illegitime Machtmonopol der damaligen Staatspartei SED zu brechen und zu beenden. Genau das war der sozialdemokratische Gründungsimpuls. Diese stolze antidiktatorische und antitotalitäre Traditionslinie ist in meiner Partei in höchstem Maße lebendig.

Aus dieser Tradition kommend, haben wir Sozialdemokraten darauf bestanden, dass in der Präambel des Vertrages die folgenden Sätze in aller nur möglichen Klarheit festgehalten worden sind: Ich zitiere aus der Präambel des Koalitionsvertrages: „Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben. Der offene und kritische Umgang mit früheren Fehlern ist ebenso notwendig wie die Übernahme von Verantwortung für verursachtes Leid in Missachtung von Freiheit und Demokratie.“

Diese Sätze gelten und sie gelten uneingeschränkt. Sie gelten nicht bloß für die SPD. Ich erkenne ausdrücklich an, dass den Vertretern der Brandenburger Linkspartei diese Passage im Koalitionsvertrag nicht etwa mühsam abgerungen werden musste. Nein. Über diese Sätze bestand von Anfang an Konsens.

Am 2. Dezember 2000 - also fast auf den Tag genau vor neun Jahren - kam der Brandenburger PDS-Vordenker Professor Michael Schumann bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben. Professor Schumann hatte seiner Partei schon im Dezember 1989 das Folgende ins Stammbuch geschrieben:

„Die in die Zukunft weisenden Konsequenzen aus der stalinistischen Vergangenheit der SED“ müssten „ihren Niederschlag finden (…) in einem neuen, kritischen Umgang mit unserer eigenen Geschichte, der frei ist von Apologetik, von Schönfärberei, einem Umgang, der nichts aus dieser Geschichte ausspart.“

Und es war ebenfalls Michael Schumann, der als Mitglied dieses Landtages 1991 für seine Partei, die PDS erklärte: „Wenn jemand Informationen über Personen, die ihm im Vertrauen mitgeteilt wurden, an die Staatssicherheit überliefert hat, hat er Vertrauensbruch begangen.“

Seit 1991 gilt daher in der PDS beziehungsweise in der Linkspartei der offizielle Beschluss, dass Mandatsträger verpflichtet sind, eine Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit offenzulegen, um Transparenz, Offenheit und einen klaren Umgang mit der eigenen Vergangenheit herzustellen.

Diese Koalition unter meiner Führung soll durch ihre Arbeit auch zur Versöhnung im Land beitragen, die einander – wie wir es heute noch oft genug erleben - mit verbissener Härte begegnen. Ich bin gefragt worden: „Was meinen Sie, Herr Platzeck, wenn sie von Versöhnung sprechen?“

Die Versöhnung, die ich meine, ist Prozess, in dem wir Brandenburgerinnen und Brandenburger miteinander ins Reine kommen, damit wir unsere Kraft und unsere Debatten endlich darauf konzentrieren können, wie wir gemeinsam die Zukunft in unserem Land bewältigen und gestalten können. Zu diesem Prozess gehört auch, das sage ich ganz klar, damit er überhaupt anlaufen kann, dass man sich zu eigenem Fehlverhalten bekennt, dass man sich erklärt und tätige Reue an den Tag legt. Sonst funktioniert so etwas von Anfang an nicht.

Dieser Prozess ist heute notwendiger denn je. Er ist auch gerade deshalb so notwendig, weil wir in Deutschland - gerade zwischen Ost und West – immer noch immer große Probleme damit haben, wirklich zueinander zu finden. Aber: Eben dieser Verständigungsprozess hat in den letzten Wochen erheblich Schaden genommen.

„Das Geheimnis der Versöhnung heißt Erinnerung“: An dieses viel zitierte jüdische Sprichwort haben sich jedenfalls die Führungsgremien der Brandenburger Linkspartei gehalten - auch bei schmerzhaften Konsequenzen bis hin zu dem eingeleiteten Ausschluss von Herrn Hoffmann, der heute morgen selbst seinen Austritt aus der Fraktion erklärt hat.

In vielen Gesprächen mit Vertretern der Linkspartei in den vergangenen Jahren, auch in den Koalitionsverhandlungen nach der Landtagswahl, habe ich immer wieder aufrichtiges und selbstkritisches Nachdenken über eigene biografische Irrwege, über eigene politische Fehlurteile und individuelle Vergehen erlebt. Nur auf dieser Grundlage rigoroser Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte konnte die Koalition von SPD und Linkspartei in Brandenburg überhaupt erst zustande kommen.

Allerdings muss ich nach den Ereignissen der letzen Wochen feststellen: Die innerhalb der PDS bereits vor zwei Jahrzehnten bereits begonnene Aufarbeitung eigenen Fehlverhaltens zu Zeiten der DDR reichte in den Tiefen der Partei offensichtlich nicht so weit, wie ich selber optimistisch – vielleicht zu optimistisch - gemeint und gehofft hatte. Ich kann gut nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die hinter dem Versagen der fraglichen Abgeordneten ein umfassenderes Versagen vermuten - nämlich das vermeintliche Versagen einer ganzen Partei, mit ihrer diktatorischen Vergangenheit ins Reine zu kommen.

Ich sage hier ganz klar: Mein Eindruck ist ein anderer: Hintergangen, getäuscht und geprellt sehe ich mich nicht von der Brandenburger Linkspartei, sondern von hier genannten Abgeordneten, die diese Regeln so verletzt haben, dass großer Schaden angerichtet wurde.

Ernüchtert bin ich noch aus einem anderen Grund. Als außerordentlich dürftig erscheint mir in Teilen das Niveau der politischen Auseinandersetzung in den vergangenen Wochen. Es ist meine tiefe Überzeugung, dass Menschen, die Verantwortung in der DDR getragen haben, die systemnah waren, die persönliche Schuld auf sich geladen haben wie auch immer, das selbstverständliche Recht haben müssen, sich unter den Bedingungen der freiheitlichen Demokratie neu zu bewähren und Schuld abzutragen. Genau das macht unsere Gesellschaft überhaupt erst „freiheitlich“: dass Menschen die Chance haben, frühere Fehler wettzumachen; dass sie eine zweite Chance bekommen.

Unabdingbare Voraussetzungen – ich sage es noch einmal, weil es bei diesem Thema schnell zu Missverständnissen kommt - sind dabei wiederum Einsicht, Selbsterkenntnis und tätige Reue. Voraussetzung sind Offenheit und Bewährung. Entscheidend sind immer die konkreten Fälle. Wir haben hier in diesem Landtag vor einiger Zeit schon einmal darüber gesprochen. Ich akzeptiere nicht, dass diese zweite Chance, das Umdenken, das Neudenken, das sich Bewähren an bestimmte Parteimitgliedschaften gebunden ist. Dass sie zwar einem Herrn Junghanns, der im August 1989 noch als hoher Funktionär der Bauernpartei die Mauer verteidigt hat, zugestanden wird. Dass wir ganz selbstverständlich, und ich tue das, Herrn Goetz zugestehen, dass er umgedacht hat, nachdem er bis 1989 in der SED war, aber anderen nicht. Dieses Umdenken darf nicht an Parteimitgliedschaften gebunden werden. Nicht weil man in der CDU ist man ein besserer Mensch.

Solche persönlichen Weiterentwicklungen verdienen hohen Respekt, solche Entwicklungen müssen möglich sein - auch innerhalb einer demokratischen Linkspartei. Denn nochmals: „Das Geheimnis einer Versöhnung heißt Erinnerung.“ Deshalb sage ich ebenfalls in aller Klarheit: Eine Atmosphäre, in der beispielsweise ein Bürger heute kein Landtagsabgeordneter sein könnte, nur weil er - wie Zehntausende andere - vor drei Jahrzehnten seinen Wehrdienst im Wachregiment „Dzierzynski“ abgeleistet hat - ein solches gesellschaftliches Klima will ich nicht, ein solches Klima lehne ich ab!

Völlig zu Recht hat der Theologe Richard Schröder schon vor etlichen Jahren erklärt: „Wenn die Mitgliedschaft Jugendlicher im Wachregiment diese auch 13 Jahre später noch diskreditiert, wenn das schon Systemnähe ist, dann werden alle Katzen grau. Dann können sich die Großen hinter den Kleinen verstecken.“ Soweit Richard Schröder – und recht hat er.

Ich sage heute aus tiefer Überzeugung: Mir sind diejenigen Menschen, die sich zur Einsicht, zum Dazulernen, zur kritischen Selbstreflexion fähig erweisen, allemal lieber als ganz fix, ganz schnell Gewendeten. Sie sind mir lieber, weil sie jedenfalls aufrichtiger sind. Aufrichtiger als diejenigen, die bis zum Schluss brav in der SED waren, dann mit dem Untergang der DDR ganz plötzlich den verbrecherischen Charakter des Regimes erkannt haben, bruchlos zum Beispiel die Ideologie des Neoliberalismus an die Stelle der Ideologie des Kommunismus setzten und heute unverfroren daherreden, als wären sie erst nach dem 9. November 1989 überhaupt zur Welt gekommen. So geht Geschichtsbetrachtung nicht. (An die CDU gewandt): Sie brauchen sich noch nicht aufregen. Sie kriegen während meiner Rede noch genug Grund sich aufzuregen.

Wir haben gerade erst monatelang - und mit gutem Grund - das 20. Jubiläum unserer Freiheitsrevolution vom Herbst 1989 gefeiert.

Ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit gerne zur Kenntnis bringen, was der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, einer der gründlichsten Kenner dieser friedlichen Revolution, in knappen Sätzen zur Rolle der Ost-CDU in dieser Revolution von 1989 geschrieben hat: „Die CDU hatte keine Führungskraft, die sich öffentlich profilierte. Später staunte aber die Öffentlichkeit, wie viele Reformkräfte sich dort geschickt getarnt hatten. Davon war im Herbst [1989] allerdings nichts zu spüren, war nichts zu hören. Ost-CDU und SED waren sich zum Verwechseln ähnlich.“

Wir sollten uns, deshalb zitiere ich das hier, vor denen hüten, die heute ihr vergangenes Handeln oder Nichthandeln verdrängen oder leugnen.

Wir müssen uns aber ebenso sehr in acht nehmen vor denen, die heute Geschichte, biografische Brüche und biografische Fehlleistungen instrumentalisieren, nur um kurzfristige parteipolitische Punkte zu machen. Kurzum, wir sollten hüten vor Vereinfachern und Vereinfachungen. Das wird gesellschaftlichem Dasein nie gerecht.

Zur Sicherheit noch einmal: Ich bin weit davon entfernt, in der gegenwärtigen Auseinandersetzung Ursache und Wirkung zu verwechseln. Anlass für die Kontroverse, die wir heute miteinander führen, war das eklatante und nicht zu entschuldigende Fehlverhalten von Abgeordneten der Linkspartei.

Aber: Was ebenfalls nicht geht, weil es unwürdig ist und den Ernst der Komplexität der historischen Sachverhalte komplett verfehlt, ist eine Politik der Beliebigkeit einiger Mitglieder dieses Hauses, die die Linkspartei mal zum geläuterten demokratischen Partner erklären und dann wieder - möglichst im Häftlingsanzug - in Grund und Boden verdammen. So geht Auseinandersetzung nicht.

Es war Herr Dombrowski, er will dieses Zitat heute nicht mehr hören, der 2006 dem Tagesspiegel gesagt hat:
„Die PDS ist nicht mehr die SED. Die Bürger nehmen heute die PDS als normale Partei wahr, die mit anderen im Wettbewerb steht. Es bringt nichts, mehr ständig auf die SED-Vergangenheit zu verweisen…“ Nach dieser Aussage wurde er gefragt, ob er sich ein Bündnis zwischen CDU und PDS auf Landesebene vorstellen könnte. Daraufhin sagte Herr Dombrowski: „Das ist für mich im Moment nicht vorstellbar – allerdings nicht wegen der SED-Vergangenheit, sondern wegen Unterschieden in zentralen Fragen.“

Das nenne ich Philistertum, das ist Pharisäertum, das Scheinheiligkeit, wie sie im Buche steht.

Das werden Dinge verwendet, wie man sie braucht und nur, wenn man sie braucht. Ich finde es unerhört, dass Sie so tun, als hätten Sie das nicht gesagt. Diese Partei wurde vor 3 Jahren von denselben Menschen geführt und hatte dieselben Menschen in der Verantwortung wie heute. Sie haben das Zitat damals gesagt. Ich weiß es. Es ging um die Oberbürgermeisterwahl in Cottbus. Sie haben sich dafür gerechtfertigt, dass Sie mit einem gemeinsamen Kandidaten von der CDU und der PDS angetreten sind. Das meine ich mit Beliebigkeit in der politischen Argumentation, die uns bei der Aufarbeitung der Geschichte nicht voranbringt. Ganz im Gegenteil. Sie schadet der Aufarbeitung.

Frau Wanka, wenn Sie sagen, jeder weitere Fall ist ein Platzeck-Fall, dann sage ich ja. Ich weiß, Sie haben es perfider gemeint. Aber ich sage ja, weil ich will, dass alle Fälle auf den Tisch kommen. Sie können gerne sagen, das ist ein Platzeck-Fall. Ich will, dass alle Fälle, die eventuell gibt, wirklich auf den Tisch kommen. Ich bin gespannt, wie Sie reagieren, falls ein Fall sein sollte, der nicht in dieser Hälfte des Hauses verortet ist. Ich nehme das trotzdem an, weil ich möchte, dass wir ein Parlament haben, indem sich die Abgeordneten in die Augen schauen können. Wir haben das in den vergangenen Legislaturen versäumt und müssen es nun nachholen. Das ist schmerzhaft aber nötig.

Wenn ich Ihre Argumentation höre, wenn Sie über Charakter reden, Herr Dombrowski, dann sprechen Sie anderen Menschen ab, dass sie sich ändern können. Das ist für Sie eine Charakterfrage. Ich habe in den Zeiten der Krise vor anderthalb Jahren über Ihren Charakter von Ihren Parteimitgliedern gehört und zwar von hochrangigen. Meine bürgerliche Erziehung verbietet mir, dass hier zu gebrauchen. Wir haben uns damals übrigens sehr zurück gehalten. Weil wir durchaus noch Anstand haben. Wenn Herr Schönbohm heute schreibt, dass den Ostdeutschen Anstand, Sitte und Moral fehlen, wenn Herr Schönbohm schreibt, dass die Ostdeutschen stillos im Umgang miteinander wären, dann finde ich das komplett falsch. Ich frage mich aber, wie er darauf kommt. Ich glaube, er war zu lange Chef der CDU in Brandenburg. Da kommt man vielleicht zu genau solchen Einschätzungen.

Ich verstehe sehr gut, dass die Oppositionsparteien in diesem Hause darauf aus sind, der neue Regierungskoalition das Leben möglichst schwer zu machen. Das ist auch ihre Aufgabe. Ich bitte Sie aber mit großem Ernst, dabei das geeignete Verhältnis von Mitteln und Zwecken nicht aus den Augen zu verlieren. Herr Kollege Vogel, das beträchtliche Unwohlsein der grünen Fraktion angesichts der geradezu treibjagdartigen Auswüchse der vergangenen Tage habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen.

Ihre Haltung deute ich als Zeichen großen politischen Anstands und ernsthaften Interesses an einer sorgfältigen Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Dafür danke ich Ihnen ausdrücklich.

Wir brauchen in Brandenburg eine Politik mit Augenmaß, das sind wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schuldig. Von den Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei erwarte ich ganz klar, dass sie ihre vergangenheitspolitischen Hausaufgaben zügig und sorgfältig zu Ende bringen. Die Kolleginnen und Kollegen der Oppositionsparteien bitte ich, die Kirche im Dorf zu lassen und auf den Teppich zurückzukommen. Wir alle gemeinsam, Regierungsparteien und Opposition, tragen Verantwortung für die Zukunft unseres Landes. Diese Verantwortung erschöpft sich nicht im Streit über die Vergangenheit.

Die Aufarbeitung der Geschichte ist wichtig beileibe nicht abgeschlossen. Und sie gibt uns noch keine hinreichenden Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass wir mit unserer Geschichte ins Reine kommen. Sie erwarten dies vor allem auch deshalb, damit wir unsere Köpfe umso freier haben für Fragen, von deren Beantwortung die Zukunft aller tatsächlich abhängt. Es sind nämlich die Fragen

  • Wie wir allen Brandenburger Kindern und Jugendlichen in allen Landesteilen erstklassige Bildungs- und Lebenschancen ermöglichen.
  • Wie wir bestehende Arbeitsplätze sichern und qualifizierte neue Jobs in zukunftsfähigen Branchen ins Land holen.
  • Wie wir die wirtschaftlichen Erfolge und soziale Gerechtigkeit auf produktive Weise miteinander verbinden und nicht gegeneinander ausspielen.
  • Wie wir gezielte Investitionen in die Zukunft unseres Landes mit solider Haushaltsführung vereinbaren.
  • Wie wir langfristige Energiesicherheit mit ökologischer Vernunft in Einklang bringen.
  • Und wie wir die Weltoffenheit und Toleranz in unserer Gesellschaft nachhaltig fördern und durchsetzen.

Um diese Fragen muss es in Brandenburg so schnell wie möglich wieder gehen. Sie vor allem sollten wir - gerne auch im produktiven Streit - diskutieren. Schließlich sind es diese Herausforderungen, von deren Lösung das Schicksal unserer Kinder und Enkel im Lande abhängt. Wir werden diese Herausforderungen allerdings nur dann lösen können, wenn verdrängte Vergangenheit nicht immer wieder Gegenwart und Zukunft mit Beschlag belegt. Genau das geschieht aber gerade dort, wo man über das historisch Gewesene nicht ehrlich Rechenschaft ablegt. Wir erleben dies gerade in diesen Wochen. Deshalb ist diese Debatte so wichtig, die wir heute und in den nächsten Monaten miteinander führen. Und wir sollten sie gründlich und ehrlich bis zum Ende führen. Auch wenn es hin und wieder ein bitteres sein kann.