Staatskanzlei

Verleihung des Ehrenpreises des Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk an Sabina Grzimek

Sperrfrist: Redebeginn!
ACHTUNG: Es gilt das gesprochene Wort!

veröffentlicht am 26.06.2011

Rede von Matthias Platzeck zur Verleihung des Ehrenpreises des Ministerpräsidenten für ein Lebenswerk an Sabina Grzimek im Rahmen der Veranstaltung zur Verleihung des Brandenburgischen Kunstpreises 2011 in Neuhardenberg „Als wir vorhin mit dem Auto nach Neuhardenberg eingebogen sind, war mir ein wenig befangen zumute. Vor einem Jahr haben wir hier Bernhard Heisig für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Und heute kann er nicht mehr bei uns sein. Das ist wirklich traurig. Aber er wäre wohl mehr als einverstanden, wenn er sehen könnte, wer seine Nachfolge bei dieser Preisverleihung antritt. Die „Sieben Gesten des aufrechten Ganges“ hätten ihm bestimmt gefallen. Denn sie stehen für Wahrhaf-tigkeit. Und sie stehen stellvertretend für die vielen ausdrucksstarken Skulpturen einer Künstlerin, die heute als erste Frau den Brandenburger Ehren-Kunstpreis erhalten wird. Liebe Sabina Grzimek! „Es geht mir nicht um Schönheit, sondern um Wahrheit“, haben Sie mal gesagt. Schließt das Eine denn das Andere aus? Wohl ja, wenn Augen so unbestechlich sind wie Ihre. Dann ist Schönheit nämlich nur Fassade, nur Äußerlichkeit. Ihre Zeichnungen und Plastiken wollen aber mehr zeigen: das Innenleben der Figuren, ihre tatsächliche Haltung. Und dann gewinnt die Frage, ob jemand aufrecht durchs Leben geht, plötzlich einen sehr ernsten Unterton. Wer diese Sieben genau anschaut, wird feststellen: Einiges mag mehrdeutig wirken, aber nichts ist ohne Bedeutung – das gilt gerade in dieser Gruppe, an der Ihnen seit mehr als fünfzehn Jahren so viel liegt! Sie spiegelt das wirkliche Leben: Manchmal kommt das Schicksal über uns, manchmal gelingt es uns auch, die Zukunft mit eigener Kraft zu gestalten. Aber die perfekte Form bleibt unerreicht. In der Politik möchte man das selten zugeben. In der Kunst kann man es mit aller Wucht offenbaren. Oder subtil sezieren, wie es Sabina Grzimek seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue gelingt. Wie lernt man es, so genau zu beobachten? Wenn man sein Leben lebt und ehr-lich zu sich selbst bleibt! Diese Art von Aufrichtigkeit ist für niemanden leicht, auch nicht für unsere Preisträgerin. Das macht den Weg der Wahrhaftigkeit – ob in der Kunst oder anderswo – so wertvoll. Die Mühen auf dieser Strecke werden zuwei-len unterschätzt. Auf den ersten Blick scheinen Sie, liebe Frau Grzimek, geradezu prädestiniert für eine erfolgreiche Künstlerkarriere. Wer in einer Stadt wie Rom geboren wird, einen berühmten Bildhauer zum Vater, eine Malerin zur Mutter und dann noch einen Stiefvater namens Fritz Cremer hat, könnte doch buchstäblich aus dem Vollen schöpfen! … glaubt man als Außenstehender. Dass so eine Her-kunft auch Bürde sein kann, will man einem Künstlerkind ungern zugestehen. Aber es sind genau diese Kinder, die schon von klein auf doppelt gut, doppelt kreativ sein müssen und wollen, um neben ihren elterlichen Lichtgestalten über-haupt wahrgenommen zu werden und sich neben ihnen zu behaupten. Sie, liebe Sabina Grzimek, haben schon mit 17 Jahren begonnen, Ihr eigenes Licht zum Strahlen zu bringen… allmählich, vorsichtig, behutsam… wie es Ihrer insgesamt eher zurückhaltenden Art entspricht. Das Wort „zurückhaltend“ mag nicht so recht passen in ein Metier wie die Bildhauerei, die doch offenkundig Kraft und Körperlichkeit erfordert. Aber das ist eben nur die oberflächliche Sicht auf diesen Beruf, diese Berufung. Denn Frau Grzimek hat bewiesen, dass ihr Schaffen beides sein kann: in der Außenwelt zupackend und tatkräftig, im Innenleben feinsinnig und voller filigraner Botschaften. Die Inspiration dafür haben Sie im Alltag gefunden. Das verraten schon die Titel Ihrer Werke, wenn man sie zeitlich der Biografie zuordnet. Als junges Mädchen haben Sie Ihre Schulfreunde portraitiert, als Meisterschülerin von Fritz Cremer liebende Paare. Die Zeit an der Akademie der Künste muss in vieler Hinsicht sehr produktiv für Sie gewesen sein. Später folgte das Motiv „Familie“ und unzählige Male wurden Ihre beiden wichtigsten Lebend-Werke, Anton und Anne, zu Modellen. Als allein erziehende Mutter haben Sie sich manche Stunde im Atelier oder in den Galerien regelrecht abgerungen. Deshalb ist es kein Zufall: Auch von Müdigkeit und Zweifel erzählen Ihre Zeich-nungen und Skulpturen… von Enttäuschung und Sehnsucht – also von all dem, was sich in einem gut sortierten Leben erst auf den zweiten Blick erkennen lässt. ´Gut sortiert´ sage ich, weil man anders ein so umfassendes Oeuvre – sei es auf Papier, in Gips, Stein oder Bronze – kaum bewältigen kann. Die Liste Ihrer Aus-stellungen ist sehr lang. Nach 1989 haben Sie sich – nicht zuletzt dank Galerie Poll – schnell auch das Westberliner und westdeutsche Publikum erobert. Auf dem Berliner Lützowplatz kann man um so eine Erfolgsgeschichte „herumspazieren“. 1992 hat Ihnen sogar die Nationalgalerie eine Retrospektive gewidmet! Die Kataloge waren schnell vergriffen, die Originale reisten quer durch die Republik und bis ins Ausland. Leider sind manche Ihrer Entwürfe nie zum blei-benden Original – ich meine: zur Statue im vorgesehenen Format – geworden. Denn vielerorts ist für solche Aufträge kein Geld mehr in den Kassen. Das muss schmerzlich sein für Sie und für Ihre ganze Zunft. In einer Zeit, in der wir uns im-mer öfter virtuelle Bilder von der Welt machen, scheint das ´Greifbare´ verzichtbar. Ich bin kein Kunsthistoriker, aber großer Optimist, deshalb glaube ich: Das digitale Zeitalter wird das menschliche Bedürfnis nach ´echter´ Form, nach dem ´echten´ Objekt nie wirklich verdrängen können. Die postmoderne Bildhauerei wird nicht das letzte Kapitel dieser Kunst gewesen sein. Allerdings ändern sich die Über-schriften! Das beste Anschauungsbeispiel dafür liefert uns punktgenau zum heutigen Tag der Verein ´Endmoräne´ mit seinen Projekten im benachbarten ehemaligen Ka-sernengelände von Neuhardenberg. Ost und West, Alt und Jung, Vertreter aller Sparten haben sich da mit internationalen Gästen zusammengefunden, um zeit-gemäße, grenzenlose Kunst in die Fläche zu bringen. Kompliment! Im Grunde macht es unsere Preisträgerin ganz ähnlich. Sabina Grzimek geht überall dort hin, wo ein Publikum entstehen könnte… nach Ost und West, zu Alt und Jung… und es muss nicht immer eine Galerie sein. Eine ihrer jüngsten Ausstellungen bei-spielsweise fand in Heidelberg statt, im Nationalen Centrum für Tumorerkrankun-gen mit einer überlebensgroßen ´Skulptur von Mildred Scheel´. ´Überlebensgroß´, liebe Frau Grzimek, soll auch die heutige Anerkennung für Sie sein! Denn Ihr Name wird in die Kataloge und Archive der Museen und Akademien eingehen. Und Ihr Name wird für vieles stehen, was von zeitlosem Wert ist: für eine Kunst, die nicht künstlich wirkt, für Augenblicke des Alltags, die provisorisch eingefangen und flüchtig scheinen, uns aber noch bewegen, wenn wir den Aus-stellungssaal längst verlassen haben, und für eine Künstlerpersönlichkeit, die sich stark macht für eine innere Haltung… eine Haltung, die auch in meinem Beruf das höchste Gut ist: der aufrechte Gang! Für all das, liebe Frau Grzimek, verleihe ich Ihnen diesen Ehrenpreis! Möge er ab heute in Schönschornstein bei Erkner ste-hen. Bitte sehr!“