Staatskanzlei

Ansprache des Ministerpräsidenten anlässlich des zweiten Brandenburgischen Richter- und Staatsanwaltstags am 27. Oktober 2006 in Neuruppin

Es gilt das gesprochene Wort

veröffentlicht am 27.10.2006

Sehr geehrter Herr Vorsitzender Wolf Kahl (Vors. Dt. Richterbund LV Brandenburg), sehr geehrter Herr Vorsitzender Arenhövel (Vors. Dt. Richterbund), sehr geehrte Frau Ministerin Blechinger, sehr geehrte Damen und Herren! Sie haben einen wirklich schönen Konferenzort ausgewählt. Von meinen zahlreichen Besuchen in der Fontanestadt weiß ich um die Gastfreundlichkeit der Neuruppiner. Nicht zuletzt aus diesem Grunde verspricht eine Tagung in dieser Stadt – besonders in diesem Haus, unmittelbar am Ufer des Ruppiner Sees – eine Atmosphäre, in der ein intensiver Gedankenaustausch erfolgreich und mit Gewinn für alle gelingen kann. Das Land Brandenburg ist ein Land in Bewegung. Wir haben uns auf den Weg der Erneuerung gemacht – aus eigener Kraft und mit guten Gründen. Wie alle anderen europäischen Regionen stehen auch Brandenburg und die brandenburgische Wirtschaft in zunehmendem internationalem Wettbewerb. Die Regierung ist davon überzeugt, dass Brandenburg nur dann die Zukunft gewinnt, wenn wir die Weichen richtig stellen und unsere Schwerpunkte richtig wählen. Welche Faktoren sind hier die wichtigsten? Das sind die Landesfinanzen und der demografische Wandel. Zunächst zu den Landesfinanzen: Durch das Abschmelzen der besonderen Ostförderung wird unser Landeshaushalt bis 2019 um voraussichtlich ein Fünftel schrumpfen. Deshalb müssen wir bis dahin alles tun, um auf unseren eigenen Beinen nicht nur stehen, sondern auch laufen zu können. Auch uns in Brandenburg führt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom vergangenen Donnerstag vor Augen: Wir allein tragen die Verantwortung für die Gestaltung der öffentlichen Finanzen. Es ist gut, dass unser Haushaltstableau vorsieht, mittelfristig ohne Kredite auszukommen. Dazu gibt es keine Alternative. Gleichermaßen macht das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutlich: Der enorme Schuldenberg in Berlin wird sich kurzfristig nicht verringern. Vor diesem Hintergrund sind weitere Kooperationen zwischen Brandenburg und Berlin mehr denn je im Interesse für die beiden Bundesländer – auch wenn eine Fusion beider Länder auf unabsehbare Zeit nicht mehr in Sicht ist. Ich denke, es gibt noch viele Reserven, um gemeinsam effizienter in der Hauptstadtregion zu wirtschaften. Der andere ganz zentrale Faktor ist der demografische Wandel. Das ist nicht nur die Veränderung der Bevölkerungszahl. Demografischer Wandel heißt auch: Änderung der Alters- und Sozialstruktur sowie räumliche Ausdünnung an der einen und weitere Verdichtung an der anderen Stelle. Und demografischer Wandel bedeutet: rückläufiger Bedarf an Kindertagesstätten und Schulen, neue Wohn- und Betreuungsformen für alte Menschen, Rückzug privater und öffentlicher Dienstleistungen aus der Fläche, leerstehende Wohnungen und öffentliche Gebäude usw. usf. . Diese Entwicklung stellt Politik und Verwaltung vor außerordentlich große Herausforderungen. Die Landesregierung Brandenburg hat sich dem gestellt und in vielen Politikfeldern bereits Konsequenzen gezogen und umgesteuert. Etwa in der Bildungspolitik, bei Schulen und Kindertagesstätten, in der öffentlichen Verwaltung, in der Stadtentwicklungspolitik und der Familienpolitik. Und auch die Justizpolitik kann nicht unangetastet bleiben. Das für die Bürgerinnen und Bürger alltäglich erfahrbare Rechtsleben wird in erster Linie durch die Arbeit der Gerichte, Staatsanwaltschaften und anderen Justizeinrichtungen vor Ort geprägt. Das dürfte auch der Grund für die zum Teil besorgten Stimmen sein, die sich angesichts der Überlegungen zu einer Reduzierung von Amtsgerichtsstandorten und der Errichtung eines zentralen Grundbuchamtes zu Wort gemeldet haben. Die Landesregierung hat Frau Justizministerin Blechinger bekanntlich im Frühjahr 2005 den Auftrag erteilt, ein Konzept zur sachgerechten Reduzierung der Zahl der Amts- und Arbeitsgerichte vorzulegen. Vor dem Hintergrund der skizzierten demografischen Entwicklung und der Haushaltslage sollte – zunächst nur unter justizspezifischen Gesichtspunkten – untersucht werden, ob künftig mit jeweils einem Amtsgericht pro Landkreis auszukommen ist. Aufgrund festgelegter Kriterien hält das Justizministerium in seinem Konzept, das es der Landesregierung im Januar dieses Jahren vorgestellt hat, die Schließung von 7 Amtsgerichten für möglich. Des Weiteren wird eine Zusammenlegung des Arbeitsgerichts Senftenberg mit dem Arbeitsgericht Cottbus am Standort Cottbus erwogen. Die Zusammenlegung einzelner Amtsgerichte steht nach dem Konzept des Justizministeriums – wie Sie wissen – unter dem Vorbehalt, dass durch die Ausgliederung der Grundbuchabteilungen der betroffenen Amtsgerichte ein unverhältnismäßiger Bauaufwand zur Deckung eines angemessenen Raumbedarfs an den Standorten der aufnehmenden Amtsgerichte abgewendet werden kann. Für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Gerichtsstruktur können wir jedoch nicht bei der Anwendung von statischen Kriterien – wie Größe und Entfernungsangabe – in der bisher klassischen Form stehen bleiben. Um den künftigen Anforderungen zu genügen, kann es nicht nur um die Frage von Standorten gehen, sondern um die funktionale Absicherung eines hohen Maßes an Rechtsqualität und –sicherheit. Dazu müssen stärker als bisher auch Fragen des Geschäftsanfalls bei rückläufigen Bevölkerungszahlen und auch strukturelle Veränderungen des Geschäftsanfalls wegen der sich verändernden Bevölkerungs- und Altersstruktur berücksichtigt werden. Und einen äußerst wichtigen Punkt vermisse ich in der bisherigen Diskussion gänzlich: Die Möglichkeiten des elektronischen Rechtsverkehrs. Die netzbasierte Kommunikation wird auch zu einem tiefgreifenden Wandel der Gerichtsbarkeit führen. Bei der Erschließung der Potenziale des elektronischen Rechtsverkehrs nimmt Brandenburg eine bundesweite Vorreiterrolle ein. Der „elektronische Briefkasten“ ist ein „originäres Brandenburg-Produkt“. Insgesamt ermöglicht die offensive Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs nicht nur die schnelle und kostengünstige Kommunikation mit dem Gericht, sondern auch, dass sich die Verfahrensbeteiligten zukünftig mit Hilfe des Internets über den Stand des Verfahrens informieren und von überall Einsicht in die elektronische Gerichtsakte nehmen können. Dies bedeutet aber auch, dass die Notwendigkeit der physischen Erreichbarkeit eines Gerichts damit künftig weniger wichtig als bisher wird – das Gericht wird für Bürger und Anwalt 24 Stunden am Tag virtuell erreichbar sein. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich muss Sie um Verständnis dafür bitten, dass ich Ihnen vor Abschluss der maßgeblichen Prüfungen der gemeinsamem Arbeitsgruppe des Justiz- und Finanzministeriums heute noch keine weiteren konkreten Ergebnisse mitteilen kann. Ich darf Ihnen aber versichern, dass bei der Entscheidungsfindung insbesondere die aus Ihrem Kreise und geäußerten Bedenken, Anregungen und Vorschläge, aber auch unsere wohlbegründeten Abwägungen berücksichtigt werden. Die Landesregierung nimmt die Befürchtungen der betroffenen Landkreise und die – wenn ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gerichte denke ja auch sehr persönlichen – Sorgen ernst. Die demographische Entwicklung in unserem Land und die Haushaltslage zwingen die Landesregierung jedoch dazu, die Verwaltungsstrukturen zu überprüfen und anzupassen. Angesichts schwieriger Rahmenbedingungen ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat und insbesondere in eine unabhängige Justiz ein hohes Gut. In Brandenburg besteht dieses Vertrauen. Das ist insbesondere dem Einsatz von Richtern, Staatsanwälten und anderen Mitarbeitern in allen Diensten der brandenburgischen Justiz zu danken, die sich in der Zeit des Aufbaus einer rechtsstaatlichen Justiz und der Neuorganisation der Gerichte und Staatsanwaltschaften bleibende Verdienste erworben haben. Dass dieses Vertrauen in den zurückliegenden Monaten zeitweilig durch die so genannte „Trennungsgeldaffäre“ und ihre Darstellung in den Medien belastet worden ist, bedauere ich nicht zuletzt deshalb, weil gerade auch vor den Vorwürfen nicht persönlich betroffene Justizangehörige zum Teil unter Generalverdacht gestellt worden sind. Sie stellen jedoch die große Mehrheit dar und an ihrer beruflichen und persönlichen Integrität kann zu keinem Zeitpunkt gezweifelt werden. Der Vorwurf interner Unregelmäßigkeiten hat das Justizressort naturgemäß belastet wie kein anderes. Ich bin deshalb dem Justizministerium dankbar, dass nicht nur eine konsequente Aufklärung stattgefunden hat, sondern in der ganz überwiegenden Mehrzahl der von den verschiedenen externen Kommissionen und zuletzt durch den Landesrechnungshof geprüften Fällen bereits eine abschließende Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Die Prüfungen haben frühere Einschätzung bestätigt: In den Fällen fehlerhafter Bewilligung von Trennungsgeld lagen die Ursachen weit überwiegend nicht in falschen Angaben von Bediensteten, sondern in der unrichtigen Anwendung der komplexen, sehr auslegungsbedürftigen und damit auch anwendungsfehlerträchtigen Trennungsgeldbestimmungen. Sie sind inzwischen geändert worden. Die Unübersichtlichkeit des früheren Trennungsgeldrechtes hat sich auch bei der Prüfung durch die verschiedenen Prüfungskommissionen gezeigt: In vielen Einzelfällen sind die Prüfer ihrerseits zu völlig unterschiedlichen rechtlichen Ergebnissen gelangt. Die vorliegenden Prüfungsergebnisse der Ressorts zeigen, dass es tatsächlich nur sehr wenige Fälle gibt, in denen Bedienstete des Landes Trennungsgelder in größerem Umfang zu Unrecht bezogen haben. Die Landesregierung hat in den Fällen, in denen das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs festgestellt worden ist, diesen aber auch deshalb geltend gemacht, weil alles andere das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat und seine Institutionen erschüttern würde. In vielen Fällen, auch und gerade im Bereich der Justiz haben die Betroffenen diese Haltung der Landesregierung akzeptiert. Angesichts der bedauerlicherweise häufig nur sehr selektiven Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist meine Hoffnung darauf, dass das Ergebnis der mit Gründlichkeit betriebenen Überprüfung und Aufklärung der Trennungsgeldvorgänge in der Öffentlichkeit eine angemessene Würdigung finden wird, weniger groß. Es ist ungerecht, wenn das Verhalten einzelner dazu führt, zumindest zeitweilig einen ganzen Berufsstand in Misskredit zu bringen. Soweit die Landesregierung dazu beitragen kann, die zu Unrecht gegenüber Bediensteten der brandenburgischen Justiz erhobenen Vorwürfe auch in der Öffentlichkeit zu entkräften, wird dies geschehen. Lieber Herr Vorsitzender Kahl, meine Damen und Herren, als kompetente Interessenvertretung leistet Ihr Verband einen unverzichtbaren Beitrag zum rechtspolitischen Geschehen im Land. Der Richterbund setzt sich vehement für die Sicherung und den Ausbau des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats ein. Ich versichere Ihnen, dass die Landesregierung auch weiterhin auf Ihr Engagement setzt. Sie, Herr Kahl, verabschieden sich heute von Ihrem Amt als Vorsitzender. Vielen Dank für die geleistete Arbeit! Ich bin sicher, Sie werden dennoch weiter Ihre Stimme erheben im Sinne der Rechtspflege in Brandenburg und da werden wir uns wieder begegnen. Ich wünsche, meine Damen und Herren, Ihrer Mitgliederversammlung eine guten Verlauf.